Zuhause in Fforest, Wales: Einfach einfach…
Sian und James schufen sich ihr El Dorado – im Westen von Wales. Ein großartiger Ort, um zu sich zu finden.
James Lynch liebt die Einfachheit, das Bescheidene. „In unserer so komplexen Welt“, sagt er „liegt im Einfachen eine gewisse Exotik. Das ist es, was die Leute hier suchen. Oder besser: hier wieder zu finden hoffen.“
Das „hier“ ist „Fforest“, eine Gästefarm in der Mitte von Nirgendwo, ganz im Westen von Wales. Mir ist schleierhaft, wie man ohne Not und Anlass hier herkommen kann. Geschweige denn, sich niederlässt. Zwei Stunden von Cardiff entfernt, strikt gen Westen, zwischen „Teifi gorge“, einer Schlucht und dem Wildschutzgebiet der Teifi-Sümpfe, gibt es hier nichts. Außer grandioser Natur.
…wenn das Gute liegt so nah!
Die Antwort auf diese Frage ist die Lebensgeschichte von James und seiner Gefährtin Sian. Seit den frühen 1980er Jahren sind die beiden zusammen, absolvierten ein Kunststudium, sie am Royal College, er am St. Martins. Lebten, arbeiteten gemeinsam. Sian schrieb Kinderbücher und gestaltete Textilien, James entwarf Graphiken, Ausstellungen, Häuser, Geschäfte. Etwas später, auf einer Neuseelandreise zusammen mit ihren vier Söhnen, begriffen die beiden Künstler, wonach sie im Leben eigentlich suchten.
Beide mochten die Freundlichkeit der Kiwis, die grandiose Natur, die Verbundenheit der Menschen mit ihrem Land. Und sie fanden so weit weg von zuhause heraus, dass sie den Ort ihrer Träume längst kannten. Nämlich das Dorf, in dem ihre Jungs jedes Jahr den Sommer bei Sians Eltern verbrachten. Im äußersten Westen Wales.
Der Anfang war Wildnis – mit ein paar Ruinen drauf
„Unsere Farm sitzt auf Schiefer“, erzählt James, „Pflanzen haben kaum Zugang auf die tiefer gelegenen Ressourcen. Hier wurde nie viel angebaut, stattdessen züchtet man Schafe und Rinder. Aber auch das sei nie wirklich rentabel gewesen, sagt er, mit der Mechanisierung der Landwirtschaft seien Bauernhöfe wie dieser dann völlig ins Abseits geraten. „ Als wir hier ankamen, standen wir auf 500 Hektar Wildnis – mit einigen romantischen Ruinen drauf!“
Sian und James setzten ihr über die Jahre Erspartes ein, nahmen Kredite auf, schufen sich ihre Welt, die sie so gerne mit anderen teilen und nannten sie „Fforest“.
Mit viel Sachverstand und Ruhe renovierten oder bauten die beiden, was notwendig war. Und zwar genau das und genau so viel: „Einfachheit bedeutet, dass es weniger darauf ankommt, was man in der Landschaft oder an Gebäuden verändert, sondern was man bestehen lässt.“ erklärt James. Und so ist es. Jeder Türstock, Duschen, Böden und Küche, alles wirkt hochwertig und zeugt von handwerklichem Geschick. Tinnef und Schnörkel sucht an indes vergebens.
Straßen wurden wieder gangbar gemacht, Wege aus dem Dickicht gehauen. Eine Außenbeleuchtung fehlt, dafür gibt es Taschenlampen. Nur ab und zu weht der Wind ein Telefonsignal von irgendwoher herüber. James erklärt mir seinen Ansatz so: „Besuche beispielsweise eine Lodge, die sich auf das Angeln spezialisiert hat, eigentlich eine ziemlich heruntergekommen Scheune war und eher notdürftig hergerichtet wurde. Setz Dich ans Feuer und iss, was Du am Tage gefangen, hast – es wird die beste Mahlzeit Deines Lebens sein, weil Situation und Umfeld stimmen, die eigenen Instinkte wieder erweckt werden. Das gelingt nur in Einfachheit, weil man sich in ihr selbst auch zurück nimmt. Nähe zur Natur, die dicken steinernen Wände, die Dich vor dem Wind schützen, das Feuer, das Dich wärmt, der Duft und Geschmack des Essens. Diese Erfahrungen zurückzuholen ist die Idee unseres Anwesens.“
Und so ist es im Fforest:
Viele Regeln und Einschränkungen gibt es naturgemäß im Fforest nicht, wozu auch? Eine gibt es dennoch: Das gemeinsame Frühstück, als Erfahrung eines anderen Zusammenseins. „This is not an option!“ erklärt bestimmend der Hausherr, wie ein Tag im Fforest zu beginnen hat.
Der weitaus größte Teil von James‘s Gästen sind Familien aus dem hektischen London, nur wenige Iren, Belgier, Deutsche verirren sich in diesen entlegenen Teil im Westen Wales. Sie alle erleben im Fforest eine andere (alte) Gemeinschaft. So finden vor allem Kinder schon früh am Tage – beim gemeinsamen Frühstück nämlich – zueinander, diffundieren irgendwo in der Landschaft, klettern auf Bäume, spielen mit den Hunden und erleben ihre ganz eigenen Abenteuer – 500 Hektar Unbekümmertheit, abseits aller zivilisatorischer Ablenkungen und Gefahren.
Der Tag vergeht zwischen Nichtstun auf einer der Terrassen und Ausfahrten zu den nahe gelegenen Stränden, einem Besuch in Cardigan oder einer Kanufahrt. Am Abend dann, eine Stunde vielleicht vor der Essenszeit, trifft man sich im eigenen, urigen Pub, trinkt englisches Bier vor knisterndem Feuer im Kamin, hört von den Abenteuern der anderen, erzählt das selbst Erlebte. Vor der Tür brutzeln die Jungs frische Filets vom Barsch, ab und zu reicht einer ein Tablett mit dem Fisch herein. Es kann eigentlich nicht gemütlicher sein.
Im Einfachen liegt eine gewisse Exotik…
Dennoch gehe ich nach einiger Zeit rund 200 Meter Hügel aufwärts zum „Ty Fforest Farmhouse“, denn da wird das eigentliche Dinner serviert. Noch ist alles in Vorbereitung. Sian kümmert sich um Beiwerk und Salat, James bereitet die Feuerstelle vor, um zeitnah einen rund 80 Zentimeter langen, schottischen Lachs am Stück zu räuchern. Wir philosophieren übers Fliegenfischen, hie und da packe ich mit an, dazwischen führen wir dieses Interview. Locker und leicht geht unser Gespräch dahin, wir lachen viel, es ist leicht, sich in deren Gegenwart wohl zu fühlen. Das Abendessen schmeckt wunderbar, Sian zaubert von irgendwo her einen Kuchen als Nachtisch auf den Tisch, gut drei Stunden später und nach dem gemeinsamen Abwasch gehe ich die Treppe hinauf zu Bett, denn ich wohne auch im „Ty Fforest Farmhouse“.
So manch anderer Gast an diesem Abend muss noch ein paar Schritte gehen, je nach dem, wo auf dem Gelände er/sie nächtigt. In einem Zelt vielleicht oder diesen Iglu-ähnlichen Gebilden, die entlang einer hohen Hecke auf freier Wiese stehen, den Fforest Crog Lofts und Fforest Cabines.
Am Morgen muss ich mich sputen, es gilt die Hausregel einzuhalten. Schon seltsam, wie selten man hier draußen auf die Uhr sieht. Zeit vergeht auch hier, sie kann nicht anders. Im Fforest, so scheint es, verglimmt sie nur langsam. Ich glaube, weil es so ruhig und stimmig ist. Weil man sich wohl fühlt.
Es ist so einfach.
Fforest camp, The Lodge, Fforest farm
Cwmplysgog
Cilgerran SA43 2TB
Tel.: +44-1239-623 633
www.coldatnight.co.uk
Anreise mit dem Auto:
Cardigan, Ceredigion, West Wales.
Von Cardiff aus zwei Stunden in nordwestlicher Richtung.
Von Aberystwyth aus eineinhalb Stunden in südlicher Richtung.
Text & Bilder: Christoph Hoppe