Von einem Wildtierfotografen, der am Ende der Welt etliche Vorurteile über den Haufen warf

Antarktis © Frank Stelges
Autor: Frank Stelges
Antarktis – ewiges Eis, endlose Weiten, nie endender, tosender Wind, die Luft voll schneidender Eiskristalle, Männer mit eisverkrusteten Bärten und Blut unterlaufenen Augen, in zerfetzten, nur mit „Duct Tape“ mühselig zusammengehaltenen Daunenparkas, die sich erschöpft und hungrig über das Eis schleppen, mit ihren schwindenden Kräften einen Schlitten mit den spärlichen Krumen ihrer aufgebrauchten Vorräte hinter sich her zerren, auf den abgefrorenen Stumpen ihrer halbtoten Gliedmaßen mehr kriechen als gehen, am Abend in einem winzigen Zelt an den Lederhalftern ihrer bereits aufgegessenen Ponys nagen und mit letztem Atemzug einen heroischen finalen Eintrag in ihr Tagebuch verfassen…
…das war, was ich sofort vor meinem inneren Auge hatte (man sollte Kindern vielleicht nicht zu früh die Tagebücher des Polarforschers Scott zu Lesen geben), als ich im Januar den Anruf von meinem Freund David erhielt. „Can you be in Ushuaia next Thursday to go to Antarctica?“
Es war Ende Januar, ein Mittwoch, ich saß bei draußen -32°C in Fairbanks, Alaska vor meinem Holzofen – da erschien mir ein Ausflug in den Süden gerade recht – schließlich war ja Sommer auf der Südhalbkugel. „Na klar, sicher! Wann muss ich wo sein?“
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David ist Freund und Partner, hat eine Foto-Reiseschule in Kalifornien und bietet Fotoreisen in die ganze Welt an – unter anderem nach Alaska. Hier habe ich ihn vor ein paar Jahren getroffen und seitdem kommt er regelmäßig zu uns in unsere Fotoschule mit seinen Gästen, um von meiner Frau Miriam und mir zu lernen, wie man die Aurora Borealis am Besten fotografiert.

In Alaska bietet Frank Stelges Fotokurse zum Thema Polarlichter an
Wie sich im weiteren Gespräch herausstellte, ging es dann auch gar nicht so sehr darum, auf abgefrorenen Stumpen herumzukriechen sondern viel mehr David und sein Team von Instruktoren fachlich zu unterstützen, den Gästen das Fotografieren von Landschaften und Wildtieren näher zu bringen. Auch „Schlitten zerren“ stand nur bedingt auf dem Programm, da das ganze als Kreuzfahrt auf einem netten Schiff stattfinden sollte, was von Ushuaia, Argentinien, auslaufen würde.
Schwierig war dann eher, so schnell alles vorzubereiten: Ushuaia ist fast 15.000 Kilometer von Fairbanks entfernt. Nach einem mittleren Buchungsmarathon hatte ich alles zusammen: Flüge – Fairbanks-Seattle-Atlanta-Buenos Aires – Übernachtung in Buenos Aires und Weiterflug nach Ushuaia – gerade mal 48 Stunden, um um die halbe Welt zu reisen.
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Klasse war Buenos Aires – vor allem wenn man gerade aus dem Alaskanischen Winter kommt: Eine „europäische“ Großstadt im Sommer! Strassencafés und Restaurants, Gerüche von frisch zubereiteten Tapas, Tangomusik aus schummerigen Kellern, im Laternenlicht glänzendes Kopfsteinpflaster, in einer kleinen Bar am Straßenrand sitzen und guten Rotwein und warme Sommernachtluft trinken – ich war im Paradies!
Dann endlich Ushuaia: Wer hier jetzt an der Spitze Südamerikas eine verschlafene Barackenstadt, geduckt unter dem ewigen Wind Patagoniens, voll von bärtigen Arktisforschern mit noch intakten Gliedmaßen erwartet, erlebt genauso eine Überraschung wie ich: Das erste wohin David mich geschleppt hat, war das Hardrock Café Ushuaia, um einen „echt patagonischen“ Hamburger zu essen.
David hatte die Reise zusammen mit „Poseidon Expeditions“ organisiert, die uns die erste Nacht in einem tollen Luxushotel oberhalb der Stadt untergebracht hatten: Als ich cocktail-schlürfend, im Außenwhirlpool liegend, die Bucht, den Hafen und die Stadt im Licht der untergehenden Sonne überblickte, dämmerte mir so langsam, dass wohl auch nix aus den kleinen, vom Wind verblasenen Zelten werden würde… Eine herbe Enttäuschung nach der anderen…
Am nächsten Morgen wurde auf die „Seaspirit“ eingeschifft – ein 90 Meter Schiff für 114 Passagiere und 72 Crew Mitglieder mit allem, was man so braucht: Bar, Club Lounge, Bibliothek, Vortragsraum, Fitnessraum und Restaurant. Frühstück, Mittag- und Abendessen – großartig variantenreich zubereitet und perfekt serviert von dem mehr als freundlichen Servicepersonal!

Auf der Sea Spirit finden 114 Passagiere Platz
Wobei das gesamte Team unglaublich gut war: Die Mannschaft war aufgeteilt in Hotel-, Schiffs- und Expeditions-Crew und alle waren hervorragend in ihrem Bereich. Besonders viel hatten wir mit der Expeditions-Mannschaft zu tun: Zweimal am Tag sind wir mit Zodiacs – kleinen Schlauchbooten für zwölf Personen – ausgefahren: Entweder sind wir zwischen Eisbergen in Küstennähe herum gedüst oder auf kleinen Inseln und dem Festland gelandet.
Diese Ausflüge waren wirklich der Höhepunkt und machten den großen Unterschied zwischen einer Kreuzfahrt und einer Expeditions-Kreuzfahrt: Nur mit diesen kleinen Schlauchbooten ist es möglich, an Land zu gehen und Robben, Seehunde und Pinguine aus der Nähe zu sehen und zu fotografieren. Auch das „cruisen“ war ein fantastisches Erlebnis: Wirklich nah an einem Eisberg vorbei zu gleiten, sich auf fünf Meter einem auf einer Eisscholle ruhenden Seeleoparden zu nähern oder Wale direkt neben sich auftauchen zu sehen, ist eine einmalige Sache und bleibt für immer unvergesslich!

Größenvergleich – Wal gewinnt!
Winzige, einsame Forschungsstationen (alle Antarktisforscher waren gut rasiert und hatten noch alle Gliedmaßen!), Inseln, voll mit Pinguinen, Strände mit spielenden Seeelefanten und Pelzrobben, Seeleoparden, Buckelwale, Seevögel – alles war greifbar nah durch die Mobilität dieser kleinen Schlauchboote!

Es ist angerichtet! Abendessen bei den Eselspinguinen
Das, war für mich als Wildtierfotograf das Beste war: Diese unmittelbare und nahe Begegnung mit wilden Tieren. Mit einem Seelöwen Auge in Auge zu sitzen, sie beim Spielen und Toben in den Wellen oder beim Kämpfen an Land zu beobachten. Die vielen unendlichen kleinen Details in einer 1.000-köpfigen Pinguinkolonie zu finden und zu fotografieren. Zu sehen, wie sie mit einer unglaublichen Ernsthaftigkeit alles machen: Gehen, nestbauen, sich putzen und dabei gleichzeitig so unbeholfen und tollpatschig aussehen. Einfach da zu sitzen und einem Seeelefanten beim Schnarchen zuzuhören, dem klickenden und flirrenden Sirren zu lauschen, wenn kleine Eisschollen aneinander reiben – all das hat für mich die Faszination dieser Reise ausgemacht…

Ich hab Dich zum Fressen gern! Verschmuste Pelzrobben
Die Antarktis ist durch die Klimaerwärmung stark gefährdet und bedarf allen Schutzes, den wir aufbringen können: Poseidon Expeditions ist zum Beispiel Mitglied von IAATO – ein Verband internationaler Reiseveranstalter, die sicheres und verantwortungsvolles Reisen in die Antarktis sicherstellen wollen. Die Mannschaft war jederzeit aufmerksam wo jeder war und was er machte, um notfalls Tipps und Hilfestellungen zu geben, um sowohl unsere Sicherheit als auch die der Umwelt zu garantieren.
Es war alles so sicher und perfekt organisiert – ich sah meine Chancen auf Fotos von gefrorenen Stumpen mehr und mehr schwinden…
Nach 14 Tagen an Bord waren wir wieder in Ushuaia und traten den Heimweg an: Alle voll von einmaligen Eindrücken und unvergesslichen Erlebnissen, an Wissen und Erfahrung reicher und mit der Gewissheit, etwas unvergleichlich Schönes und trotz seiner unvorstellbaren Größe Zerbrechliches erfahren und erlebt zu haben, dass all unseres Schutzes und unserer Hilfe bedarf – die Antarktis.
Der Autor
Frank Stelges kommt ursprünglich aus Essen, reiste kreuz und quer durch die Welt und lebt seit drei Jahren mit seiner Frau Miriam und drei Hunden in Fairbanks, Alaska. Dort betreiben die beiden ihre Fotoschule Aurora Bear mit dem Schwerpunkt Polarlicht- und Wildtier- Fotografie.
www.aurora-bear.com
Stark gekürzte Fassung – der vollständige Artikel wurde in der Ausgabe Herbst 2019 veröffentlicht und kann hier heruntergeladen werden:
www.reise-inspirationen.de/antarktis-eiskalte-leidenschaft-titelthema-reisemagazin-herbst-2019/