Sharjah: Das andere Emirat

Die bunten Neonlichter Dubais rasen an mir vorbei. Es ist Mitternacht und bei neunzigprozentiger Luftfeuchtigkeit siebenundzwanzig Grad warm. Mein Fahrer bringt mich in Richtung Osten nach Sharjah, eines der sieben Arabischen Emirate. Es liegt nur einen Steinwurf vom wohl bekanntesten Shopping-Mekka der Arabischen Welt entfernt.

In den folgenden Tagen werden sich zwei Eindrücke manifestieren, weil ich mich ihnen aus unterschiedlichen Gründen nicht entziehen konnte. Zum einen die Tatsache, dass die nächtlichen Wärme bei meiner Ankunft die niedrigste war, die ich auf der ganzen Reise erleben werde. Es ist Ende April, von nun an steigen die Temperaturen kontinuierlich bis an die fünfzig Gradgrenze heran.

Sharjah: Das Islamische Museum

Das Islamische Museum © Islamic Museum of Sharjah

Zum anderen, dass man in Sharjah allenthalben vergleicht. Die Definition, was Sharjah ist oder ausmacht, gelingt seinen Einwohnern besser, wenn sie beispielsweise sagen, Dubai ist so – Sharjah eben anders. Das findet auf allen Ebenen statt, von der Infrastruktur, den Baustilen, dem Stellenwert der Familie, bis hin zur Sittenstenge und der Interpretation des Koran. Dabei grenzen sich die Menschen vorsichtig ab, aber nicht aus. Alle Vergleiche mit sich und der Welt scheinen nach innen gerichtet, nicht gegen irgend jemanden.

Also vergleichen wir das aus meiner Sicht unvergleichliche Emirat der aufgehenden Sonne (das ist die Bedeutung des Wortes Sharjah), die Heimat für arabische Kunst, Kultur und Geschichte mit den beiden Aushängeschildern Abu Dhabi (Außenhandel und Wirtschaft) und Dubai (Diplomatie). Die anderen vier Emirate, Ajman, Fujairah, Ras al-Khaimah und Umm al-Qaiwain, spielen bei diesen Gegenüberstellungen interessanterweise kaum eine Rolle. Ausser wenn es darum geht, wer noch wie viel Öl hat – oder eben nicht.

Sharjah wirkt beschaulicher, aufgeräumter als die beiden Nachbaremirate. Staatseigene Gebäude, wie Galerien, Ministerien, Museen, die Al Qasba und viele andere mehr wurden im „neo-klassizistischen, arabischen Stil“ aus gelblich-beigem Gestein gefertigt. Spitzbögen schmücken Fenster, manche Türstöcke werden dezent von orientalischen Mustern umrahmt. Meist sind diese mit Rundkuppeln und Windtürmen versehenen Häuser nur drei, vier Stockwerke hoch, dafür aber ungewöhnlich lang und breit. Eine Ausnahme bilden Moscheen, die in ihrer Bedeutung für den Menschen gerecht, bunter, oft groß und beindruckend erbaut wurden. Dazwischen säumen sattes Grün, bunte Blumen und Palmen Alleen und Straßen. Und doch – bei aller Mühe um arabische Identität, selbst die historische Altstadt, an der Corniche gelegen und immerhin UNESCO prämiert, verschwindet wie einige andere Kultureinrichtungen auch, im Schatten schnöder, hässlicher Wohn- und Geschäftstürme.

Sharjah Skyline

Sharjah Skyline © Christoph Hoppe

Sharjah besitzt, quasi im Vergleich mit sich selbst, natürlich auch eine ansehnliche Skyline, wo Wolkenkratzer Banken, Konzerne und Hotels beheimaten. Aber selbst die Hochhäuser, die die Ufer der Khalid Lagune säumen, passen verblüffend gut ins Bild, sind Teil eines durchdachten Konzepts.

Was Sharjah seinem Herrscher, Scheich Dr. Sultan Bin Muhammad al-Quasimi verdankt. Und hier lohnt ein erhellender Vergleich mit anderen Emiraten tatsächlich, denn diese Fürsten bestimmen durch ihre Allmacht Prägung und Wertesystem der Teilstaaten. Im Umkehrschluss sind diese Spiegel deren Geisteshaltung. Im gleichen Jahr, in dem in Dubai das Hotel Burj Al Arab aus der Taufe gehoben wurde, begannen auch die Bauarbeiten an der „University City“ in Sharjah. Das ist so ein Unterschied. Das Burj Al Arab kennt man fast überall auf der Welt, die Bildungsstätten Sharjahs kaum einer.

Scheich Dr. Sultan Bin Muhammad al-Quasimi ist Verfasser verschiedener Bücher, gilt als Intellektueller und Förderer der Wissenschaften. Wobei eine gewisse Verbundenheit mit den Saudis zu einer eher konservativen Auslegung des Korans führt. Was für den Besucher lediglich bedeutet, dass in der Öffentlichkeit des Emirats generell kein Alkohol erlaubt ist und auf gesittete Kleidung Wert gelegt wird. Das scheint hier übrigens für niemanden ein Problem zu sein. Und falls doch, fast jedes Hotel unterhält einen Shuttleservice in die fünfzehn Kilometer entfernte Nachbarschaft, die diesbezüglich weniger sittenstreng ist.

Die Enklaven im Osten

Wir fahren nach Osten Richtung Khorfakkan, dem Hafen des Emirats am Golf von Oman.  Sharjah gelangte hier durch Kriege und Diplomatie im Laufe der Geschichte an drei Enklaven. Die erste, Dibba Al Hisn, besitzt ein Fort von 1820, das heute nicht mehr als Gefängnis dient, sondern als Museum Einblick in den arabischen Alltag vergangener Tage bietet. Waffen, Schmuck und „Werkzeuge“, die man eben braucht, wenn Gefangene bleiben sollen, was sie sind, kann man hier bestaunen. Dibba ist noch aus einem anden Grund ein bemerkenswerter Ort, denn Teile davon gehören zu Fujairah, Sharjah und dem Nachbarstaat Oman.  Überhaupt verlaufen Genzen am Golf von Oman eher fliessend.

Die zweite Enklave ist der Fischerort Kalba, der nah an der Grenze zum Oman liegt. Auch der besitzt eine alte Festung und beheimatet das Museum Bait Sheikh Saeed Bin Hamed Al Qassimi.  Immer wieder überquert man da den Innenhof, um von einem Ausstellungsraum in den nächsten zu gelangen. Zu bestaunen sind Devotionalien aus Mekka, edle Abschriften des Koran aber auch ganz schnöde Gegenstände eines einerseits feudalen Herrschaftssystems und andererseits bäuerlichen Lebens. Von einer fein geschnitzten Wiege bis hin zum derben Holzpflug.

Die dritte Enklave schliesslich ist Khorfakkan und bildet mit seinem Hafen eine der Säulen der Wirtschaftsmacht Sharjahs, denn das Emirat ist das einzige mit zwei Küsten. So müssen Warenströme nicht umständlich via Schiff durch die Straße von Hormus vom Persischem Golf in den Golf von Oman und umgekehrt verfrachtet werden. Wer dem Meeresarm folgt, entdeckt seltene Vögel, viele Muscheln, die die Strände bedecken und den ältesten Mangrovenwald von Arabien.

Tauchen

Auch unter Wasser soll die Küste so einiges bieten, also gehen wir Tauchen. Kaum abgetaucht, holt mich die Jahreszeit wieder ein, denn  auch unter dem Meeresspiegel wird es erst Sommer. Und darum stossen in der Tiefe eher kalte, nährstoffreiche Unterströmungen auf fünfundzwanzig Grad warmes Oberflächenwasser. Was bedeutet, dass die Sicht stark eingeschränkt ist. Und so sehe ich nur das, was mir nahe ist, alles andere erahne ich mehr. Was nach einer Stunde Flaschenatmen bleibt, ist die Gewissheit, dass in ein paar Wochen, wenn sich die Wassertemperaturen angeglichen haben, jeder Tauchgang ein Erlebnis sein wird. Denn das Angebot an Flora und Fauna ist bemerkenswert hoch.

American University Sharjah

Die American University © Christoph Hoppe

University City

An der bereits erwähnten „University City“ halten wir ein weites Mal. Am Nordende des fünf Kilometer langen Areals steht die „American University of Sharjah“. Das einzig amerikanische an ihr ist das angelsächsischen Lehrprinzip, also Master- und Bachelorabschlüsse, strukturiert in Colleges. Alles andere treibt jedem Hochschulabsolventen aus der westlichen Welt die Tränen in die Augen. In dieser Bildungs-Kleinstadt befinden sich eine Polizeiakademie, eine Hochschulen für Medizin und bildende Kunst, für Juristen und eine Universität für Technologie, die Frauen vorbehalten ist. Insgesamt studieren knapp dreitausend Studenten in orientalisch anmutenden Bildungstempeln, die auch noch wie Paläste aussehen und deren technische Ausstattungen zu den besten der Welt gehören.

Al Qasba

Der Al Qasba-Kanal verbindet zwei Lagunen miteinander und ist circa einen Kilometer lang. Diese einzigartige Vergnügungsmeile bietet seinen Besuchern Restaurants mit internationaler Küche, zahlreiche Geschäfte, Stände und einen Kinderhort, um Eltern die Möglichkeit zu geben, auch einmal in Musse ein paar Stunden verbringen zu können. Fast überall kann man entweder im klimatisierten Innenraum sitzen oder vom Aussenbereich aus das Treiben entlang beider Seiten des Kanals beobachten. Und da hier eigentlich ständig irgendwelche Events stattfinden, lohnt es sich ganz sicher, während des Urlaubs vorbei zu schauen. Vielleicht besucht man eine der Galerien, die sich ebenfalls in den lang gestreckten Gebäuden befinden. Einige Räume dienen zeitgenössischen Künstlern als Ateliers und Werkstätten, wo sie sich austauschen und gegenseitig inspirieren können.  Und dann gibt es dieses alles überragende, hell erleuchtete, sechzig Meter hohe Riesenrad, das „Eye of the Emirates“ genannt wird. Ein Muss für jeden Besucher und ausserdem ein grosser Spass. Zudem erhält man einen guten Überblick über die umliegenden Stadtviertel.

Vor dem Fahrgeschäft liegt ein Platz, wo aus vielen Düsen Wasser empor schiesst. In regelmässigen Abständen takten die Betreiber deren Ausstoss auf Musik, was sehr nett anzusehen, zu hören ist. Viel anrührender ist es allerdings, Kindern dabei zuzusehen, wie sie nass bis auf die Haut zwischen den einzelnen Fontänen umher tollen. Das ist gewollt, Familienfreundlichkeit steht hoch im Kurs in Sharjah – und vorbereitet ist man auch: Neben dem Kartenhäuschen des Riesenrades steht ein „Ganzkörper-Fön“, um die Kleinen (und Grossen?) für den Nachhauseweg zu trocknen.

Souq al-Marazi, der blaue Souq und Arsa Souq

Nun ist es ja nicht so, dass man in Sharjah nicht feudal einkaufen gehen könnte, auch hier gibt es Shopping-Malls. Wer allerdings seine Konsumlust etwas stilechter ausleben möchte dem sei der blaue Souq empfohlen, eine gute Mischung aus Basar und Einkaufszentrum. Das Gebäude, als erstes im neo-arabischen Stil erbaut, enthält sechshundert Geschäfte, die so ziemlich alles verkaufen, zum Beispiel Gold, Teppiche, Textilen und Souvenirs. Das Cafe Ille gilt als Geheimtipp, wenn man vom Einkauf ermüdet oder einfach zwischendurch richtig guten italienischen Kaffee trinken möchte.

Von der Längsseite des Souqs aus blickt man übrigens auf die König Faisal (von Saudi Arabien) Mosche und ein Denkmal, das die „Perle der Emirate“ heisst und im Gedenken an die eigene Staatsgründung erschaffen wurde.

Wasserspiele Al Qasba

Wasserspiele an der Al Qasba © Christoph Hoppe

Familie

Während meiner gesamten Reise durch das Emirat Sharjah treffe ich immer wieder auf Majid Abdulla Al Qassimi. Was nicht weiter verwunderlich ist, schliesslich arbeitet er in der Tourismusentwicklung seines Landes und kümmert sich unter anderem auch um Journalisten, die das Land bereisen. Er arbeitet? Mit diesem Namen? Als Mitglied der königlichen Familie? „Natürlich“ sagt er, „ich bin nichts besonderes, beziehe ein Gehalt, damit Essen auf den Tisch kommt und besitze persönlich natürlich kein Öl! Als mein Grossvater starb, wurde mein Vater erst geboren und wuchs ganz ohne Privilegen auf. Schon als ich noch ein Kind war, hat er mir immer wieder gesagt, dass der Wert eines Mannes durch seine Arbeit bestimmt wird, nicht mit welchem Namen er geboren wurde.“ Dabei weiss Majid sehr genau, dass er das Gewicht seines Stammbaums jederzeit in die Waagschale werfen könnte, um irgend ein Ziel zu verfolgen. Man merkt das daran, wie auffallend respektvoll Einheimische mit ihm umgehen. Er selbst indes unterlässt elitäres Gehabe ganz bewusst. Und aus diesem Grund verwendet er den Titel „Scheich (Sheikh)“ auch nicht. Weder auf seiner Visitenkarte, noch bei einer persönlichen Vorstellung.

Die Familie als Anker der Menschen in einer von Glaubenskriegen zerrütteten Welt. Eine Gesellschaft, die auf Bildung setzt und die eigene Identität fokussiert. Ein Staat, der sich nicht blenden lässt von der ihn umgebenen Glitzerwelt, sondern wohltuend gelassen seinen eigenen Platz im Tourismusgeschäft zu finden sucht. Und eine Herrscherfamilie, die das nicht bestimmt, sondern vorlebt: All das ist Sharjah.

Also – im Vergleich.

Text: ch