Ngasech Palau – Traditionelle Zeremonie zur Geburt des ersten Kindes

Selbst Palauer, die mittlerweile im Ausland leben, kommen für diese traditionelle Zeremonie noch heute in ihre Heimat zurück

Auf den den ersten Blick traue ich meinen Augen nicht so ganz, als ich bei der schon fröhlich feiernden Gesellschaft ankomme. Heute findet „Ngasech“, die traditionelle Zeremonie für die Frauen von Palau, die zum ersten Mal ein Kind geboren haben, für Fawn Sumor statt.

Auf der Einladung stand zwar, dass die Feier auf einem Parkplatz stattfindet, aber auf das Setup in der Form war ich dann doch nicht vorbereitet. An den Seiten sind Zeltdächer aufgebaut, darunter sitzen die diversen Familien und Freunde verteilt, Neuankömmlinge bekommen eine Plastikbox mit einem kalten Imbiss in die Hand gedrückt, aus den Kühlboxen mit Getränken bedient sich jeder selber. An der Kopfseite spielt eine Band, die Sängerin heizt den anwesenden Frauen kräftig ein und diejenigen, die der Aufforderung zum Tanzen nachkommen haben einen Dollarschein in der Hand, den sie fröhlich winkend am Ende der Nummer der Sängerin übergeben – die das Geld für die Gastgeberin einsammelt. Von Mutter und Kind weit und breit keine Spur, aber es ist ja auch erst zwölf Uhr, der Auftritt von Fawn wurde für 13 Uhr angekündigt. Zwischenzeitlich welken die liebevoll geschmückten Blumen am Rande der Zeremonienplattform in der brütenden, feuchten Hitze langsam aber sicher vor sich hin, die restlichen Gäste sind nämlich schon seit dem frühen Vormittag versammelt.

Zur angekündigten Zeit tut sich immer noch nichts, irgendwann einmal wird Baby Kyle von einer Tante auf den Armen herumgezeigt, verschwindet wieder. Man befindet, es sei noch zu heiß. Dann, gegen 14 Uhr, tut sich etwas hinter der aus Palmblättern geflochtenen Türe. Die Mutter, im traditionellen Rock aus Wollfäden sowie einem BH aus Kokosnuss-Schalen, wird von Schwestern und Schwägerinnen vom Haus zum Parkplatz geleitet. Ihre Haut glänzt gelblich in der glühenden Sonne, sie wurde von Kopf bis Fuss mit „Kesol“, einer Mischung aus Kokosnussöl und Kurkuma eingerieben.

Zur Ngasech Palau Tradition gehören drei verschiedene Zeremonien

Die Ngasech-Zeremonie ist der dritte und letzte Teil nach der Geburt des ersten Kindes in Palau, die ersten beiden finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. „Omesur“, der erste Teil, ist eine traditionelle Badezeremonie, während der die Mutter mit heißem Wasser, das mit medizinischen Kräutern versetzt wurde, bespritzt wird und auch Kräutergetränke zu sich nimmt. Jeder Clan hat eine eigene Medizinfrau, die wiederum ein streng gehütete Zusammensetzung der Kräuter und Blätter vornimmt. Nahezu alle Mixturen enthalten jedoch reichlich „Rebotel“, das sind Blätter von einem Wachs-Apfelgewächs. Diese Prozedur wird mehrfach wiederholt, über einen Zeitraum von fünf bis zehn Tagen hinweg und hilft, die Haut weich zu machen und die Schwangerschaftsstreifen zum Verschwinden zu bringen. Je höher die Stellung des Familienclans im Dorf ist, umso länger dauert die Omesur-Zeremonie an.

Am gleichen Tag wie Ngasech findet morgens der zweite Teil, „Omengat“, das finale Dampfbad statt. Dabei sitzt die Mutter auf einem Stuhl mit einem Loch in der Mitte und die aufsteigenden Dämpfe sollen die Innenorgane reinigen.

Frisch gebadet geht dann endlich der Teil der Party los, bei dem die frischgebackene Mutter anwesend ist und im Mittelpunkt steht! Weibliche Verwandte geleiten sie über die geflochtenen Türen, die nun als Bodenmatten ausgelegt werden. Peinlich genau wird darauf geachtet, dass die Mutter nur auf die Blätter und nicht etwa auf den Asphalt tritt. Dann folgt eine rituelle Waschung der Füße, gefolgt von weiteren Tanzeinlagen, begleitet von Gesang und Musik. Die gelbliche Ölmixtur rinnt vermischt mit Schweiß über Fawns Gesicht, sie muss heftig blinzeln, hat Mühe, die Augen offen zu halten. Dennoch ist das Lächeln und der Stolz aus ihrem Gesicht nicht wegzuzaubern. Immer wieder bringen ihre Schwester oder Schwägerin neue Lagen der gelblichen Ölmischung auf, eine andere Verwandte versucht, mit den Wachs-Apfelblättern die Suppe wieder aus den Augen zu wischen – ein nicht endend wollender Kreislauf, der aber der allgemeinen Fröhlichkeit keinen Abbruch tut.

Alte Traditionen mit neuen Komponenten

Bei all dem Spaß hat die Zeremonie auch eine ernsthafte Komponente, finanzieller Natur. In früheren Zeiten erhielt die Mutter am Tag von Omengat und Ngasech von der Familie des Mannes das traditionelle „Udoud er Belau“, das palauische Geld, überreicht, das in Form von Korallenanhängern als Kette um den Hals getragen wird sowie „Toluk“, Geld aus dem Panzer der Schildkröten. Auch wenn die palauische Währung heute immer noch eine große ideelle Rolle spielt, so hat sich die Tradition mit der Realität der in dieser Region vorherrschenden Gültigkeit des US-Dollars vermischt. Darum kommt es eben dazu, dass die Frauen in ihren Tänzen mit Ein-Dollar-Noten wedeln, als gälte es, in einem einschlägigen Lokal die beste Tänzerin an der Stange zu entlohnen. Auf diese Art und Weise kommen bei der Ngasech-Zeremonie rasch einmal zwischen 5.000 und 25.000 US$ zusammen. Sofern die jungen Eltern sich dazu entschieden haben, auch zu heiraten, geht das Geld an die Familie der Braut, um den Ehebund zu besiegeln. Die wiederum lässt einen Großteil des Geldes dem frisch gebackenen Ehepaar zukommen, damit diese die Kosten für das neue Familienmitglied tragen zu können, der Rest wird an diejenigen verteilt, die für die Verpflegung bei der Zeremonie gesorgt haben.

Tradition mit Nebeneffekt

Einige der alten Frauen in Palau führen sehr exakt darüber Buch, wer wie viel in den Spendentopf geworfen hat. Bei nächster Gelegenheit gilt es dann, mindestens den gleichen Betrag, eher noch mehr bei einer Zeremonie des befreundeten Clans zu hinterlassen. Dass dieses System die junge Generation vor einen mittlerweile fast nicht mehr zu bewältigenden Schuldenberg bei ihrer Familien- beziehungsweise Existenzgründung stellt, ist die unschöne Kehrseite der althergebrachten Traditionen. Und ein Aspekt, der bei den Jungen zu zunehmendem Unmut führt. Noch ist der Respekt vor den Familienbanden, den Alten und den Traditionen zu groß, als dass sie ernsthaft dagegen aufbegehren würden. Fragt sich nur, wie lange noch…


Autor: Judith Hoppe